Faire Verträge
18. Januar 2014

Statt einer Neujahransprache

Wir dokumentieren das Grußwort, das Comedian Jan Böhmermann, seit  Jahren selbst Freiberufler, bei der Jubiläumsparty von Freischreiber am 16. November in Berlin gehalten hat.  Wir wünschen ein erfolgreiches Jahr 2014!

Liebe Freischreiberinnen, liebe Freischreiber, liebe Jubiläumsgesellschaft,

mein Name ist Jan Böhmermann, ich bin Fernsehmoderator und Stuntdouble von Markus Lanz bei „Wetten dass…?“. Kritiker nennen mich den Cherno Jobatey des Digitalspartenfernsehens, für meine Freunde bin ich der Buttplug im Rektum des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Einige von Ihnen kennen mich aber sicherlich aus den 700 großkotzigen Interviews die ich jeder deutschen Zeitung im Rahmen der größenwahnsinnigen PR-Kampagne meiner coolen Comedyshow „NEO MAGAZIN“ in ZDFneo, die regelmäßig von 0,4% der deutschen TV Zuschauer gesehen wird, gegeben habe. Vor allem aber bin ich seit 18 Jahren: frei!

Ich fühle mich geehrt, zum 50. Jubiläum der Freischreiber ein kurzes Grußwort an sie richten zu dürfen und danke dem Vorstand für das Vertrauen und erkläre ihn hiermit, Kraft meines vom Gebührenzahler verliehenen Amtes, für die Geschäftsjahre 2013 bis 2075 für entlastet. 500 Jahre Freischreiber – wie hat sich doch der Beruf des Freien Journalisten in nahezu allen Belangen verändert: Und, ja, es war früher alles besser. Als ich vor 16 Jahren im Vorstand der Bremer Jugendpresse vor mich hin pubertierte und als Kulturlokaljournalist für den Weser Kurier dilettierte, verdiente man pro Zeile mit 45 Anschlägen noch 42 Pfennig. Heute sind es für die gleiche Arbeit gerade man 21 Cent.  Noch 1991 setzte die frisch wiedervereinte Bundesrepublik alle Jetons auf BTX. Doch als das Internet BTX verdrängte, mussten viele BTX-Autoren Zuflucht in den Printmedien suchen. Zeitungen und Zeitschriften sehen sich heute einer ähnlichen Bedrohung durch das inzwischen unkontrolliert metastasierende Internet ausgesetzt wie damals das BTX.

Für viele junge Menschen ist Print längst das Medium für Menschen die in Gegenden wohnen, in denen es bloß Edge gibt. Informationen von gestern mit Farbe auf tote Bäume gemalt. Doch auch digitale Auftraggeber beuten aus, ein Grund, warum die Freischreiber heute genau so wichtig sind wie bei ihrer Gründung vor 100 Jahren. Neue, skrupellose Rechteverwerter wie die LEAD-Award verdächtig durchdesignte „Huffington Post“ beuten Freie Journalisten schamlos aus – Ausbeutung ist Teil des Geschäftsmodells. Oldschool-Ausbeuter wie die taz haben sich früher wenigstens noch die Mühe gemacht die Freestyleentlohnung Freier Journalistinnen und Journalisten hinter einer Genossenschaftsfassade auf Idealismusbasis zu kaschieren!

Freie Journalisten haben einen Wettbewerbsvorteil: Sie sind nicht fest angestellt! Zum Glück gibt es die Freischreiber, heute auf den Tag genau seit 10 Jahren! Denn freie Journalisten sind wie weidwundes Rotwild: verletztlich und scheu. Freie Journalisten für Radio, Fernsehen, Print und Internet sind weinerlich und verbittert, streitlustig, pedantisch und extrem anstrengend. Zerrüttete private Verhältnisse, mitleiderregende Frisuren und Bärte, exzentrische Brillen, die meisten haben Cashflowdiagramme und Einnahmenüberschussrechnungen zum schwindelig werden, und ich meine nicht das gute schwindelig. Aber freie Journalisten haben einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Sie sind nicht festangestellt! Und haben seit einem Jahr mit den Freischreibern jetzt auch einen richtigen eigenen Berufsverband der immerhin so engagiert ist, dass er sich die Mühe gemacht hat, Deutschlands bekanntesten unbekannten Fernsehmoderator als Gastredner einzuladen.

Herzlichen Glückwunsch, Freischreiber, auf in die nächsten 100 Jahre im Kampf gegen das menschenzermalmende Festangestelltenkartell, gegen oder wenigstens im gleichberechtigten Miteinander mit Redaktionen, Verlagen, Sendern und Rechteverwertern. Gut, dass es seit 1000 Jahre diesen Berufsverband gibt, denn auch wenn man keine Lust auf Grabenkämpfe hat, sollte man wenigstens wissen, wo die Front verläuft. Freischreiber gibt freien Journalisten keine Stimme – die meisten haben ja eine laute, schrille, meinungsstarke. Aber Freischreiber kann dafür sorgen, dass die vielen unterbezahlten und wenigen überbezahlten Stimmen nicht durcheinanderquasseln, wenn es um existenzielle Belange und die Rechte Freier Schreiberinnen und Schreiber geht.

Und wenn Sie alle, liebe Gäste, in zehn Jahren, unter erbarmungslosen iPad-Hieben von Digitalmessias Diekmann und seinen Leistungsschutzgargoyles für Springer zum Apps programmieren in den Mini-Silicon- Valley an der Rudi-Dutschke-Straße getrieben werden: Freien Journalisten kann niemand die Würde nehmen. Denn sie haben gelernt, auch ohne auszukommen.


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