Neue Geschäftsformen
27. Mai 2014

Hier diskutiert die Crowd

Das Projekt der Krautreporter polarisiert: Am 20. Mai formulierte Eva-Maria Schnurr, die ehemalige stellvertretende Vorsitzende von Freischreiber auf Facebook ihre Zweifel, ob sie 60 Euro für Krautreporter ausgeben soll. Sie schrieb:

„Habt ihr Krautreporter unterstützt? Ich überlege noch. 1., weil ich es komisch finde, wenn Journalisten Journalisten finanzieren und man sich das Geld so hin und her schiebt (sollte die Kohle nicht von „echten“ Lesern kommen?), und 2. (hängt mit 1. zusammen), weil ich ganz offenbar nicht Zielgruppe bin bei dem, wie sich die Sache langfristig tragen soll: Bezahlen, um zu kommentieren und an Texten mitzuarbeiten – hey, das ist mein Job und dafür will ich bezahlt werden, nicht umgekehrt. Wie haltet Ihr es?“

Die Frage hat Gewicht, nicht nur weil Eva-Maria Schnurr 2008 den Freischreiber Kongress „Mach’s Dir selbst“ maßgeblich mitgestaltet hat, auf dem damals die Möglichkeit journalistischer Projekte jenseits der Verlage intensiv diskutiert wurde, sondern auch, weil sich innerhalb kurzer Zeit eine angeregte Debatte über die Zukunft unseres Berufs entwickelte, die über Krautreporter hinausreicht.  Wir dokumentieren hier einige Stimmen aus der Diskussion, die das Meinungsspektrum wiedergeben:

„Als Leserin warte ich auf den Dummy, bevor ich es finanziere und kaufe solange weiter bewährte Medien, um den Journalismus zu retten. Kollegiale Solidarität ist bei einem neuen Geschäftsmodell ohnehin keine ausreichende Grundlage. Als Journalistin warte ich darauf, dass die Leser reagieren. Ich wünsche Krautreporter dennoch viel Erfolg und rede gerne drüber!“

Antwortet Lu Yen Roloff, bis vor kurzem freie Journalistin und Freischreiberin in Hamburg als eine der Ersten in der Timline. Auch Verena Hagedorn, Freischreiberin in Hamburg ist skeptisch:

„Was mich (auch Journalistin und Freischreiberin) stört: Dass ich mich sofort mit 60 Euro für ein Jahresabo verpflichten soll und damit sprichwörtlich die Katze im Sack kaufen. Wäre ich „nur“ Leserin würde mich das sogar noch mehr stören. Hättet ihr eine Option auf eine Einsteigervariante (15 Euro für 3 Monate), wäre sicherlich für viele die Schwelle geringer. (…)“

Tom Schimmeck, Freischreiber und beim Autoren-Magazin Magda engagiert, findet die Idee gut, stört sich aber am Krautreporter-Stil:

„Finde, es bedarf dringend eines deutschen Onlinemediums, das den globalen Blick, den tiefen Hintergrund – und natürlich die tollen (+ bitte völlig buzzfeedfreien) Geschichten liefert. Das die Welt greifbarer und die Fülle, die im Netz zu fast allen Themen ja eigentlich vorhanden ist, zugänglich und konsumierbar macht. Denke seit gut einem Jahr darüber nach, bastele an einem Konzept, suche Partner und Finanziers. Insofern finde ich Krautreproter gut: als Arschtritt. Aber was die (überwiegend) Jungs inhaltlich wollen, klingt mir arg vage, zu sehr nach: United Bloggers.“

Eva-Maria Schnurr macht sich in der weiteren Diskussion systemische Gedanken über das konkrete Projekt hinaus:

„Ich frage mich doch, ob das nicht eine Art Blase generiert, wenn zu viele Mitfinanzierer eigentlich nicht von der langfristigen Tragfähigkeit des vorgestellten Modells überzeugt sind (so gerne sich vermutlich alle vom Gegenteil überzeugen lassen möchte), aber trotzdem Geld geben. Dann schließen wir daraus, dass die Leute Journalismus so und so wollen – aber eigentlich wollen sie eigentlich nur, dass jemand mal was wagt. Das kann’s ja auch nicht sein.“

Gemma Pörzgen, Freischreiberin in Berlin, hält gerade in der heutigen Phase solche Versuche für enorm wichtig:

„Ich glaube die Langfristigkeit des Projekts ist weniger wichtig als die Erfahrungen, die man damit sammeln kann. Auch im Scheitern (aber erst nach der Startphase!) können wichtige Erkenntnisse ruhen, die uns alle sicherlich weiterführen. Tatsächlich glaube ich, dass die wichtigste Herausforderung sein wird, echte Leser zu finden! Andererseits hatten wir kürzlich beim Freischreiber-Abend einen Leser zu Gast, der zusammen mit anderen auch so ein Projekt startet, weil er sich guten Journalismus wünscht. Das fand ich enorm ermutigend! Wir stecken in einer schwierigen Übergangsphase und sollten es nicht dem Markt allein und den Verlagen überlassen, die Zukunft zu gestalten.. Diese 60 Euro sind da auf jeden Fall gut investiert!“

Eva-Maria Schnurr glaubt, dass einfach Machen zu wenig ist und die Kritik der Freien an den etablierten Medien vielleicht gar nicht den Kern triff. Dabei reflektiert sie ihre Erfahrungen aus der Redakteursperspektive:

„Damals, als Freie, habe ich etablierte Medien als sehr starr, sehr unflexibel, sehr beharrungswütig erlebt, die einfach nicht sehen, welche tollen Themen noch da sind und was wirklich guter Journalismus wäre (vor allem, wenn sie meine Themen abgelehnt haben…). Jetzt, aus der Innenperspektive, nehme ich viel stärker wahr, wie sehr Journalismus auch innerhalb der etablierten Medien ein Prozess ist und vermutlich immer war. (…)  Ich glaube also, dass das angeblich so innovative, andere am „Journalismus als Prozess“ gar nicht so anders ist. Klar, da gibt es Luft nach oben, vor allem in der Kommunikation und in der Interaktion mit den Lesern. Aber wie viele Leser wollen denn wirklich und ständig mitdenken (und nicht nur mitmeinen!)- und wie repräsentativ sind die dann?? Wenn ich mich als Leserin wahrnehme, dann erschöpft mich die Vorstellung eher, dass ich da jetzt auch noch mitarbeiten und mitdenken soll – und zwar nicht nur, weil es eh mein Job ist, sondern als Vollzeit arbeitende Mutter vor allem aus Zeit- und Hirnkapazitätsgründen. Ich bin froh, wenn mir jemand ein Produkt (!!!) wie eine Tageszeitung in die Hand drückt und sagt: Wenn du das gelesen hast, dann hast du eine Grundidee über das, was gerade in der Welt passiert. Und selbst das schaffe ich ja oft nicht, zu lesen. Meine zweite These ist also: Das unausgesprochene Versprechen, dass ein Journalismus als Prozess besser und vor allem irgendwie auch demokratischer ist, als der klassische Journalismus, ist falsch, denn es werden immer vor allem Menschen mit sehr viel Zeit und sehr wenig anderen Verpflichtungen mitmachen (können). Und dann kommt ja noch die Frage: wollen die dann ihre Meinung sagen – und Meinung wollt ihr ja weniger – oder wollen die mit Fakten, mit harten Informationen, mit inhaltlich weitertreibenden Fragen partizipieren?

Kai Schächtele, Gründungsvorsitzender von Freischreiber, Autor in Berlin und selber gerade dabei, für sein Brasilien-Projekt eine Crowd zu interessieren, antwortet:

„In Deinem Perspektivwechsel steckt doch schon eine Antwort: Dadurch, dass die Abläufe innerhalb eines Verlags für Dich transparent wurden, konntest Du Deinen Blick schärfen. Diese Transparenz für Interessierte außerhalb unserer Branche herzustellen – das ist die große Chance eines Projekts wie Krautreporter. (…) Alle Projekte im Netz, ob von Youtube-Stars oder von Bands, haben im Kern das geschafft: Sie haben es geschafft, eine Community aufzubauen, die sich verbunden fühlt. Mein Eindruck ist: Die Zeit ist jetzt reif, dass das auch Journalisten schaffen. Journalisten, nicht Journalismus – das ist ein wesentlicher Unterschied. Und Transparenz ist dafür ein wesentliches Kriterium, wenn nicht das wesentlichste.“

Krautreporter-Gründer Sebastian Esser greift mehrfach in die Diskussion ein und dämpft die Erwartungen:

„Ich kann nicht versprechen, dass wir den Journalismus neu erfinden, dass wir alles anders machen, dass wir endgültige Lösungen vorschlagen. Solche Erwartung wollen wir nicht wecken, weil wir sie vorhersehbar nicht einhalten könnten und die Enttäuschung groß wäre.  Der Mehrwert, den Du vermisst: Wir bieten die Möglichkeit, mit uns ein Journalismus-Experiment zu beginnen und mit uns auszuprobieren, wie Journalismus im Netz anders, besser sein kann. Nun suchen wir Mitstreiter für sorgfältigen, entschleunigten Journalismus mit den Ausdrucksmitteln, in der Sprache und mit der kommunikativen Offenheit des Netzes, in enger Zusammenarbeit mit den Lesern. Der Mehrwert ist also der Prozess, nicht das Produkt. (…) Ich glaube nicht, dass man in digitalen Zeiten mit dem Verkauf von künstlich verknappten journalistischen Gütern (Journalismus-Verknappung ist ja jetzt schon fast unmöglich, wie Du richtig schreibst) Geld zu verdienen und die Arbeit von uns Journalisten zu finanzieren. Deswegen bitten wir um einen Mitgliedsbeitrag zum Journalismus-Experimentier-Club Krautreporter.“

Marcus Anhäuser, Wissenschaftsjournalist in Dresden, findet solche Experimente dringend notwendig und kann auch dem Konzept von Krautreporter einiges abgewinnen:

„Es gibt keine Alternative zum Machen, ohne werden wir es nicht herausfinden. Wenn es nur Journalisten als Fans und Leser generiert, wird es wahrscheinlicher wieder eingehen. Irgendwie hat Constantin Seibt aber schon Recht: “Den Journalismus neu zu erfinden, das ist die Aufgabe unserer Generation.” Dabei geht es gar nicht so sehr um das Handwerk des Journalismus als um die Bedingungen, unter denen er entsteht. Du zahlst dafür, dass es das gibt: Ein Magazin ohne Verlag und ohne Werbung. Ich finde das eine attraktive Vorstellung. Wenn jetzt noch die Inhalte stimmen, wenn mich das interessiert, wunderbar. Wenn nicht, habe ich Pech gehabt. Den Versuch war es wert.“

Lutz Fischmann, Geschäftsführer von unserem Partner-Verband Freelens findet, man muss selber was machen, damit die anderen was machen können und empfiehlt:

„Kinners – einfach mal 60 Euro in den Ring schmeißen. Das sind zwei Pizzen, ne Pulle Wein, ein geteiltes Tiramisu und zwei Espressi. Damit tun wir uns doch auch nicht so schwer?“

Hier finden Sie die vollständige Facebook-Diskussion

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