vom 14T10:17:25+00:00.03.2019

 

14. März 2019

Liebe Kollegen und Kolleginnen, liebe Freischreiberinnen und Freischreiber,

es ist noch nicht lange her, da haben wir live und in Farbe gegen das geplante EU-Urheberrecht in Berlin demonstriert – und nun rückt der nächste Demo-Termin näher: Denn am Samstag, dem 23.3., sind wieder alle aufgerufen, sich gegen die Paragrafen 11 und 12 und 13 zu stemmen – wobei uns als freie Journalisten und Journalistinnen besonders die Verhinderung des Paragrafen 12 am Herzen liegt. Der soll dafür sorgen, dass die Verlage wieder wie vor dem sogenannten Vogel-Urteil an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften beteiligt werden. Wir aber sagen: Wir sind die Urheber! Und niemand sonst nicht.

Gute Frage dazu von Katharina Nocun:

Unsere Freischreiber-Positionen dazu, warum wir nicht generell gegen ein neues europaweites Urheberrecht sind, gegen einzelne Punkte aber sehr wohl, finden sich wohlformuliert auf unserer Homepage; ansonsten empfehlen wir noch generell die Kampagne von „Save the internet“ (hier werden auch die Demo-Orte fortlaufend aktualisiert).

Auf Antrag der Linkspartei hat der Bundestag gestern in einer aktuellen Stunde über die EU-Urheberrechtsreform und die Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit diskutiert. Markus Reuter hat die Ergebnisse für netzpolitik.org zusammengefasst.

 

Und – im Zuge des Protests: Nicht wundern, wenn am 21.3. Wikipedia-Deutschland sich nicht aufrufen lässt. Einen Tag lang wird dort mittels Abschaltung protestiert. Hier die Hintergründe.
 
 
Relotius, nur irgendwie anders
 
Klar, die Debatte geht weiter. Aber es ist bekanntlich nicht bei Herrn Relotius geblieben. Nun wurden auch diverse Artikel des freien Journalisten Dirk Gieselmann unter die Lupe genommen, und es fanden sich Textpassagen, die dort besser nicht hätten stehen sollen. Was genau dem Autor vorgeworfen wird, hier findet man eine sozusagen lange Liste. Dabei geht es zuweilen sehr ins Detail: Mal fand eine beschriebene Szene nun nicht mehr im Februar, sondern Ende März statt. Eine in einem Restaurant an der Wand hängende Pfauenfeder wurde zu einer simplen „Feder“ herabgestuft. Taz-Medienredakteur Peter Weissenburger fasst seine Sicht der Dinge unter dem hübschen Titel „Schönschreiberitis“ so zusammen:

 

„Was Gieselmann getan hat, reicht fraglos aus, um das Vertrauen zu verspielen, das man als Autor genießt. Kein Redakteur und keine Factcheckerin wird einen Text bis auf die Pfauenfeder hin prüfen oder sechzehnjährige Geflüchtete ausfindig machen können. Deshalb müssen Redaktionen sich darauf verlassen können, dass alles, was in journalistischen Texten steht, auch stimmt. Die Art der Feder ist unerheblich, die erfundene Protagonistin nicht. Deswegen ist richtig, dass sich die Medien hier distanzieren und die Zusammenarbeit aufkündigen. Gleichzeitig ist jeder Vergleich mit dem Fall Relotius absurd. Dort ging es um systematisches Ausdenken ganzer Landschaftsformationen, Gebäude und Menschen, und das über Jahre. Das Beschönigen, das Ausschmücken und ,Verdichten‘ von Realität hingegen ist eine schlechte Angewohnheit allgemein. Im Dienste der Schönschreiberei werden derlei Kniffe verteidigt, auch von denen, die Reportage unterrichten.“

Und Weissenburger kommt am Ende zu folgendem Schluss: „Diese Debatte ist von unschätzbarem Wert für den Journalismus. Aber sie muss sich an der Branche insgesamt abarbeiten, statt Einzelpersonen zu Bösewichten hochzustilisieren.“
 
Und ins „Das Altpapier“ geschaut, kommt doch dessen Autor René Martens ins Grübeln unter dem Titel „Schade und scheiße“, was ja mal eine Ansage ist: „Was man aber vielleicht auch betonen muss: In den Medien der Spiegel-Gruppe sind 43 Gieselmann-Artikel erschienen, und bei 39 Texten wurden keine Hinweise auf bewusste Manipulationen festgestellt, wie es in einer ausführlichen Spiegel-Stellungnahme gegenüber Meedia heißt.“ Und weiter: „Auch mit Blick auf künftige Enthüllungen stellt sich eine nicht völlig abwegige Frage: Sollte man es bei Journalistenpreisen ähnlich handhaben wie bei Olympischen Spielen oder Meisterschaften, bei denen Medaillengewinner aus dem Klassement fallen, weil sie des Dopings überführt wurden? … Mein eher persönliches Fazit: Die Einschläge kommen näher. Der Name Claas Relotius war mir kein Begriff, als er aufflog, von Gieselmann dagegen habe ich ziemlich viel gelesen, zumindest seine Irgendwas-mit-Fußball-Texte. Hinzu kommt: Er war Autor bei Zeit Online – und ich schreibe dort zumindest gelegentlich, siehe heutiger Altpapierkorb. Um mal ungewöhnlich wehmütig aus diesem Thema auszusteigen: Aufgeflogen ist, wie es Wayne Schlegel bei Twitter formuliert, ,der Erfinder des humoristischen Fußball-Livetickers, der Mann, der Weltliteratur in Echtzeit produziert hat. Wie unendlich schade und scheiße.‘“
 
Freischreiberiges
 
Freischreiberin und RiffReporterin Katharina Jakob kann man demnächst treffen. Nämlich wenn man in Hamburg ist und wenn man in die dortige Zentralbücherei nahe dem Hauptbahnhof schlendert. Sie wird dort in der Woche vom 25.3. bis zum 30.3. tagsüber samt Schreibtisch vor Ort und vor allem ansprechbar und befragbar sein und aus ihrer Praxis als Wissenschaftsjournalistin berichten. Wie kommt sie zu ihren Themen? Wie unterscheidet man seriöse von unseriösen Quellen? Wie ist es, ein Buch zu schreiben? Auch darf gefragt werden: „Was verdienen Sie eigentlich so als Journalistin?“ Hier findet sich das Programm. Klickt man die einzelnen Veranstaltungen an, enthüllen sich die Uhrzeiten.
 
„Seien Sie die rote Socke in der weißen Wäsche!“, zitiert Freischreiber Jakob Vicari den Innovationsmanager Kim Svendsen. Und das aus gutem Grund – denn Vicari hat mit „Ideen-Sprint – neue Kreativmethoden für Journalisten“ einen kompakten Ratgeber geschrieben: Warum man sich nicht mit Kleinkram abgeben sollte, warum das Unfertige zu loben ist und wie man seine journalistische Idee am Ende am besten handfest testet, das alles möchte er uns ans Herz legen. Hier kann das Werk bestellt werden. Eine kurze Leseprobe findet sich hier.

Und sozusagen mal etwas entspannende Lektüre bietet Freischreiberin Sara-Lisa Schäubli: „Alltag im Paaradies“. Und nein, das ist mitnichten ein Schreibfehler, sondern es geht um Paare und wie Paare es sich mal (wieder?) gutgehen lassen können: „Ob verrückte Aktivitäten oder wichtige Fragen über die eigene Partnerschaft: 100 Ideen für den gemeinsamen Alltag. Verregneter Herbsttag oder erste Sonnenstrahlen des Jahres: alle Ideen auf die vier Jahreszeiten abgestimmt. Und: „Unterschiedlichste Ideen, von Rezepten über Fun Facts zum Thema Liebe und ToDo Listen bis hin zu Kurzinterviews mit anderen Paaren.“ Und hier die Verlagsangaben.

Dies & das

Oh nein, dieser Artikel macht so keine gute Laune. Denn der freie Autor Reto Hunziger aus der Schweiz erzählt in gebotener Ausführlichkeit, was passiert, wenn man ohne vertraglich fixiertem Auftrag einen Text schreibt – und denn dann „loszuwerden“ sucht. In seinem Fall ein Interview mit Physiker und Wissenschafts-Tausendsassa Harald Lesch: „Ich hatte vor, ihn mit möglichst vielem zu konfrontieren, was die Menschheit derzeit umtreibt: Erderwärmung, Rechtspopulismus, Postfaktizismus und so weiter. Ich schlug die Idee der NZZ für die Gesellschaftsseiten vor und stieß auf Interesse. … Anfang September 2018 saß ich ein wenig aufgeregt am Hörer, fragte Lesch aus und lauschte seinen Antworten. 56 Minuten dauerte das Gespräch. Es reichte von Salvini über Impfgegner und Marserkundung bis zur Komplexitätsforschung.“

Gemacht, getan, abgetippt, autorisiert – nur jetzt wollte die NZZ doch nicht, weil irgendwie sei der Text von der Stimmung her zu – apokalyptisch. Und der Autor macht sich auf die Suche nach Alternativen, klappert die Redaktionen ab, bemüht Kontakte – sehr vergeblich: „«Gutes Stück», «knackig zu lesen», «spannend», «ich bin sicher, du bringst es noch unter», hieß es netterweise noch zu meinem Interview – aber spätestens dann kam das Aber. Ich verstand die Welt nicht mehr: Nach über 15 Jahren in der Medienbranche, mal intensiver, mal weniger, hatte ich das Gefühl, einschätzen zu können, was ankommt und was nicht. Nun sollte aber dieses Interview, das nicht nur ich gelungen fand, nicht zu veröffentlichen sein.“

Am Ende schenkt er das Interview (10 000 Zeichen lang!) dem „Tagesanzeiger“, es erscheint (ebenso unbezahlt) bei der Tageszeitung „Bund“, mit dem der Tagesanzeiger eine Kooperation zum Schaden von Freien unterhält, sowie auf den dazugehörigen Internetplattformen (Bezahlung? Nicht doch!) – und der Autor bleibt so ratlos wie zerknirscht und auch empört zurück: „Auch war ich irgendwie sauer, wusste aber nicht recht, auf wen. Denn obwohl ich zig Absagen bekommen hatte: Die Gründe waren legitim. Ich ärgerte mich also über die Branche allgemein und darüber, dass es möglich war, mit einem guten Text nicht mehr anzukommen. Ich war dankbar, dass der „Tages-Anzeiger“ das Interview wollte, aber stinkig, dass er nichts dafür zahlte. Und ich war angewidert von mir selbst, weil ich das alles mit mir machen ließ. «Ich tue es ja nicht fürs Geld», sagte ich mir. Aber auch: «Meine Arbeit ist etwas wert.» Und mit den Tausenden von Likes, Shares und Klicks kann ich meine Miete auch nicht bezahlen.“

Und es schweift unser Blick noch mal in die Schweiz, denn die dortige Journalisten-Gewerkschaft „Syndicom“, die etwas wilder ist als die etablierten Journalismus-Gewerkschaften, plant einen „Tag der Freien 2019“. Im Mittelpunkt steht dabei auch die Frage, ob Online-Portale dauerhaft eine Alternative zu dem daniederliegenden Print-Markt sein könnten: „Eingeladen ist unter anderem Lukas Hässig, der aus seinem Alltag als freier Wirtschaftsjournalist und Herausgeber der Nachrichtenwebseite «Inside Paradeplatz» erzählt. Hässig ist das Vorzeigemodell eines Freien, dem es gelingt, mit einer eigenen werbefinanzierten Plattform schweizweite Wirkung zu erzeugen. Ähnliche Beispiele gibt’s sonst allenfalls im regionalen Bereich, wo sich Werbefinanzierung und politische Berichterstattung jedoch recht rasch ins Gehege kommen können. Und gefragt wird Hässig wohl auch am «Tag der Freien», wie er es (allenfalls) schafft, dass die Werbeeinnahmen nicht wie bei den großen Medienhäusern rasant einbrechen.“
 
Seminare, Preise & Ausschreibungen
 
„Die Rolle der Medien als Dienstleister der Bürgergesellschaft ist umstritten wie lange nicht mehr. Die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten wird angefeindet, behindert oder in immer mehr Ländern dieser Welt sogar verboten. Demokratie aber wächst im Lokalen und braucht eine freie, unabhängige und selbstbewusste Presse. Sie braucht aber auch eine starke, selbstbewusste Bürgergesellschaft, die eint und Halt gibt, gerade in gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Umbrüchen. Beides ist nicht selbstverständlich und bedarf der Unterstützung“, schreibt das Kuratorium des Ralf-Dahrendorf-Preises und vergibt 3.000, 2.000 und 1.000 Euro an Preisgeld für gelungene Artikel oder Serien, die in der Welt des Lokaljournalismus daheim sind. Einsendeschluss ist der 31.3.
 
Im Topf für den Journalistenpreis „Pro Ehrenamt“ liegen flotte 20.000 Euro. Gesucht werden „Beiträge aus Zeitungen, Zeitschriften und anderen Printmedien sowie mit gesendeten Fernseh- und Hörfunkbeiträgen, die sich mit dem vielfältigen, ehrenamtlichen Engagement in allen gesellschaftlichen Bereichen beschäftigen und den weiteren Ausschreibungszielen entsprechen.“ Einreichungsschluss ist der 31.5. Man kann dafür also noch etwas erarbeiten.
 
Die Schweizer Online-Zeitung „Republik“ schließt demnächst ihren Recherche-Etat – und vergibt das Geld. Aber bis zum 18.3. kann man noch Anträge auf Förderung bei einer Recherche stellen. Wobei es schon um die großen Nummern geht: „Etliche der großen Storys, die in der Republik erschienen sind, wurden so möglich. Es begann mit ,Race, Class, Guns and God‘, dem fünfteiligen Roadmovie aus Trumps USA, es ging weiter mit der Serie ,Mord auf Malta‘. Wir haben das Bündner Baukartell so umfassend ausgeleuchtet, dass ein Regierungsrats­kandidat zurücktreten musste, zur Cum-Ex-Steuerhinterziehung und zur Drogenpolitik recherchiert und ein Stück zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag veröffentlicht.“ Aber auch kleinere Projekte seien finanziert worden: „Die Recherche über einen Informanten, eingeschleust in die An’Nur-Moschee in Winterthur, der auffliegt und heute um sein Leben fürchtet, das Milliardengeschäft mit Aalen; und wir sind der Spur des russischen Dopingskandals bis in die Schweiz gefolgt – zu einem Arzt in Bern.“ Und versprochen ist: Alle Anträge werden vertraulich behandelt.
 
Zu einem „Sprint für Medienmacher“ lädt das Journalismus-Lab der Landesanstalt für Medien NRW ein. Zeitraum: 12.-14. April 2019. Und getroffen wird sich in Düsseldorf: „Unter dem Motto „Journalismus 2020“ geht es nicht nur um die Entwicklung neuer Medien-Ideen durch Erforschung der Nutzerbedürfnisse, sondern auch um handfeste Konzepte mit schlüssigem Geschäftsmodell – also um innovativen Lokaljournalismus mit Zukunftsperspektive. Die Teilnehmer*innen werden unter fachlicher Begleitung professioneller Innovations-Coaches die Probleme und Bedürfnisse ihrer Zielgruppen erforschen und erste Lösungsansätze erproben. In Teams werden sie Ideen entwickeln, testen, umwerfen und weiterentwickeln, um schließlich valide Geschäftsideen zu skizzieren und wertvolles Feedback von Start-up-Profis zu erhalten. Moderne Methoden wie Design Thinking und User-Centric Design kommen hier ebenso zur Anwendung wie Lean Canvas und Rapid Prototyping.“
 
So. Das war’s schon wieder. Wir hoffen, wir treffen uns bei der nächsten Demo gegen das geplante Urheberrecht – womit sich am Ende der Kreis schließt.
 
In diesem Sinne, gutes Lesen!
Ihre
Freischreiber und Freischreiberinnen