Faire Verträge
3. Dezember 2015

Scheinselbstständigkeit – was Sie dazu wissen sollten

Salat für knapp fünf Euro statt für den Mitarbeiterpreis von 2,46 Euro: Manche Verlage lassen Freie doppelt so viel fürs Essen bezahlen wie die Angstellten. Angeblich, weil die Freien sonst abhängig, also scheinselbstständig wären, und den Arbeitnehmerstatus einklagen könnten. Aber stimmt das wirklich? Freischreiber hat Anwälten typische Fragen zur Scheinselbstständigkeit gestellt.

Mal ganz generell: Was ist Scheinselbstständigkeit?
Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn jemand zwar nach der zugrunde liegenden Vertragsgestaltung („Papierform“) selbstständige Dienst- oder Werkleistungen für ein fremdes Unternehmen erbringt, nach den tatsächlichen Umständen der Beschäftigung aber nichtselbstständige Arbeit in einem Arbeitsverhältnis ausführt (abhängiges Beschäftigungsverhältnis). Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung sind zum Beispiel eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Erforderlich ist aber immer eine Prüfung im Rahmen einer Gesamtwürdigung des Einzelfalls.

Wie soll ich mich verhalten, wenn mich ein Verlag zwingt zu unterschreiben, dass ich noch andere Auftraggeber habe, obwohl das nicht stimmt? Ich möchte doch diesen einen Auftraggeber nicht verlieren.
Wenn Sie zu dem Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung keine anderen Auftraggeber haben, sollten Sie das offen ansprechen. Die Tätigkeit für einen anderen Auftraggeber ist nur ein Kriterium innerhalb einer Gesamtbetrachtung, ob Scheinselbstständigkeit vorliegt oder nicht. Sofern der Verlag trotzdem auf der Unterzeichnung des Vertrages besteht und Sie den Auftraggeber auf keinen Fall verlieren möchten, sollten Sie die Umstände der Vertragsunterzeichnung (Teilnehmer, konkrete Äußerungen) schriftlich genau dokumentieren. Zudem können Sie versuchen, sich durch eine vertragliche Regelung zu schützen, in der auf das Recht verzichtet wird, später gegebenenfalls erstattungsfähige Beiträge zur Sozialversicherung gegen Sie geltend zu machen beziehungsweise Sie insoweit freizustellen.

Was passiert, wenn ich unterschrieben habe, dass ich noch andere Auftraggeber habe (was nicht stimmt) und der Zoll prüft?
Die zuständige Abteilung der Zollbehörden (Finanzkontrolle Schwarzarbeit – FKS) hat unter anderem die gesetzliche Aufgabe, zu prüfen, ob Arbeitgeber ihre gesetzlichen Meldepflichten erfüllen. Da die Prüfungen regelmäßig auch die Feststellung der Arbeitgeber-, Auftraggeber- oder Arbeitnehmereigenschaft im Zusammenhang mit Scheinselbstständigkeit beinhalten, kann eine Person, die angibt selbstständig tätig zu sein, daraufhin überprüft werden, ob sie tatsächlich abhängig beschäftigt ist. Hierbei treffen Sie umfassende Duldungs- und Mitteilungspflichten. Sobald sich während des Prüfungsverfahrens ein Anfangsverdacht für eine Scheinselbstständigkeit ergibt, werden von der FKS gegebenenfalls entsprechende Straf- und Bußgeldverfahren eingeleitet.

Was kommt auf mich zu, auch finanziell, wenn tatsächlich festgestellt wird, dass ich scheinselbstständig arbeite?
Der Arbeitgeber muss
grundsätzlich rückwirkend bis zum Beginn des Beschäftigungsverhältnisses alle Sozialversicherungsbeiträge – also auch den Arbeitnehmeranteil – nachzahlen. Diese Nachentrichtungsansprüche verjähren in der Regel erst in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Im Innenverhältnis kann der Arbeitgeber von Ihnen maximal drei Monate lang einen Teil des Gehalts für die Arbeitnehmeranteile einbehalten. Die Veränderung der Verhältnisse kann unter Umständen aber auch steuerliche, steuerstrafrechtliche und gewerberechtliche Konsequenzen haben.

Welche Rechte und Ansprüche habe ich, wenn eine Redaktion jetzt aufgrund der Vorfälle die Zusammenarbeit mit mir beendet?
Ihre Rechte und Ansprüche hängen davon ab, ob Sie scheinselbstständig beziehungsweise Arbeitnehmer im Sinne der jeweiligen arbeitsrechtlichen Bestimmungen sind. Dann stehen Ihnen alle Rechte zu, die das Arbeitsrecht für Arbeitnehmer vorsieht (zum Beispiel Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall). Praktisch bedeutsam ist insbesondere der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Wer Arbeitnehmer ist oder dies vermutet, kann innerhalb von drei Wochen nach der Kündigung des Vertragsverhältnisses
Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen. Das Gericht prüft dann unter anderem, ob tatsächlich ein Arbeitsverhältnis vorliegt und die Kündigung wirksam gewesen ist. Wenn Sie kein Arbeitnehmer sind, richten sich Ihre Rechte und Ansprüche grundsätzlich nach Ihrem Vertrag und den darin enthaltenen Kündigungsmöglichkeiten.

Was kann ich tun, wenn Redaktionen meinen Pauschalistenvertrag auf einmal befristen wollen?
Ein unbefristeter Pauschalistenvertrag kann unabhängig von einer Scheinselbstständigkeit nicht einfach einseitig geändert werden. Liegt allerdings eine freie Mitarbeit vor, besteht aber natürlich das Risiko, dass der Vertrag entsprechend seinen Bestimmungen gekündigt wird, wenn Sie sich nicht auf eine Befristung einlassen. Dagegen können Sie dann nicht viel unternehmen. Sofern Sie aber Arbeitnehmer sind, gilt für Sie auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Dieses sieht zum Beispiel vor, dass die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes nicht möglich ist, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Als Arbeitnehmer können Sie sich also besser gegen die Befristung wehren.

Welche Unterlagen muss ich der prüfenden Behörde aushändigen? Welche dürfen sie nicht verlangen?
Bei einer Prüfung treffen Sie umfassende Duldungs- und Mitteilungspflichten. Sie müssen die erforderlichen Auskünfte erteilen und Einsicht in Unterlagen gewähren, aus denen Umfang, Art oder Dauer Ihrer Beschäftigung bzw. Tätigkeit hervorgehen. Das umfasst zum Beispiel Verträge, Lohnabrechnungen, Meldeunterlagen, Nachweis über gezahlte Löhne und Arbeitszeitaufzeichnungen. Sie sind auch verpflichtet, mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung auszuhändigen und das Betreten der Grundstücke und der Geschäftsräume, beispielsweise die des Arbeitgebers während der Geschäftszeit, zu dulden. Auskünfte, die Sie oder eine Ihnen nahe stehende Person der Gefahr aussetzen, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, können Sie aber verweigern.

Was passiert, wenn ich die Redaktion, für die ich arbeite, nicht dazu bringen konnte, mir einen schriftlichen Vertrag zu geben und die Behörden jetzt prüfen, ob ich scheinselbstständig bin?
Wenn es keinen schriftlichen Vertrag gibt, beschränkt sich die Scheinselbstständigkeitsprüfung der Behörden notwendigerweise auf die vorhandenen Unterlagen und Ihre Auskünfte beziehungsweise die Auskünfte der Redaktion. Falls Sie Arbeitnehmer sind, gilt für Sie das Nachweisgesetz, das den Arbeitgeber verpflichtet, die wesentlichen Vertragsbedingungen spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses schriftlich niederzulegen.

Geht es bei der Scheinselbstständigkeits-Frage allein um die Anzahl der Auftraggeber oder auch um eine finanzielle Gewichtung? Was ist also, wenn ich zum Beispiel bei einem Auftraggeber 80 Prozent meines Umsatzes erwirtschafte und dann bei zwei weiteren jeweils 10 Prozent?
Wesentlich für die Bewertung einer Scheinselbstständigkeit ist der Grad der persönlichen Abhängigkeit. Die persönliche Abhängigkeit kann mit einer wirtschaftlichen Abhängigkeit einhergehen, muss es aber nicht. Denn auch ein Selbstständiger kann gegenüber seinem Auftraggeber wirtschaftlich abhängig sein. Allerdings ist es trotzdem ein anerkanntes Kriterium für Scheinselbstständigkeit, dass auf Dauer und
im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber gearbeitet wird. Bei der Auslegung des Begriffs im Wesentlichen gehen die Sozialversicherungsträger grundsätzlich von einem Anteil von fünf Sechsteln des Umsatzes mit einem Auftraggeber aus. Die genannten 80 Prozent des Umsatzes spielen also durchaus eine Rolle und sind letztlich wichtiger als die bloße Anzahl der Auftraggeber.

Was ist mit “wirtschaftlicher Abhängigkeit von einem Auftraggeber” in Zusammenhang mit der Scheinselbstständigkeit genau gemeint?
Ein Auftraggeber ist eine GmbH oder ein Zusammenschluss in anderer Rechtsform. Wenn ein Journalist also für “Stern” und “Brigitte” schreibt, hat er zwei Auftraggeber, weil das eine die Stern Media GmbH und das andere die Gruner+Jahr GmbH ist. Wenn er aber für “Neon” (Stern Media) und “Stern Viva” (auch Stern Media) schreibt, hat er formal betrachtet nur einen Auftraggeber.

Ab wann kann ich mein Recht auf einen Arbeitnehmerstatus einklagen? Reicht es zum Beispiel, dass ich in der Kantine den Mitarbeiter-Preis bezahle?
Ein Arbeitsgericht stellt Ihren Arbeitnehmerstatus nach einer umfassenden Gesamtwürdigung im Einzelfall nur fest, wenn Sie tatsächlich Arbeitnehmer sind. Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung sind wie beschrieben eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Die Bezahlung des Mitarbeiterpreises ist dabei ein Indiz für einen Eingliederung in den Betrieb, reicht aber für sich genommen auf keinen Fall aus.

 


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