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29. April 2014

Freischreibers Glotze (2)

Zum Jagen tragen…

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Haben Sie es gesehen?

Da lief vor zwei Wochen ein großes und wirklich großartiges Projekt auf Arte: „24h Jerusalem“. Ein aufwändiges Projekt, noch aufwändiger und komplizierter als „24h Berlin“, bei dem70 Filmteams begleiteten rund 90 Protagonisten mit ihren unterschiedlichen Lebensgeschichten bei der Arbeit und in der Freizeit. 24 Stunden ungewöhnliches Fernsehen und durch die Fülle der unterschiedlichen Geschichten bestimmt für viele interessant. In Deutschland erreichte „24h Jerusalem“ insgesamt 6,25 Millionen Zuschauer (gerechnet auf 24 Stunden), in Frankreich zusätzlich 5,1 Millionen. Auch Online, bei facebook, twitter usw. erreichte das Projekt offenbar viele Menschen. Nun sollte man meinen, dass die Öffentlich-Rechtlichen Sender mit so einem völlig ungewöhnlichen Projekt in die Offensive gehen. Aber merkwürdigerweise ist nach meinem Eindruck genau das Gegenteil der Fall. Spontan kam mir der Gedanke: ein spannendes Projekt, alle ARD-Sender machen mit. Und dann wird kräftig die Werbetrommel gerührt. Etwa so, wie die Fernsehfilm-Zwei- oder Dreiteiler beworben werden, im Fernsehen, mit Plakaten und Anzeigen. In vielen Sendungen wird darauf hingewiesen, in Tagesthemen, Talkshows, eben so, wie man bei großen Events Werbung macht.Und wie war das hier? Fast nichts. Natürlich Werbung auf Arte, die das Publikum erreichte, das sowieso Arte sieht.Die Fernsehdirektorin des Bayerischen Rundfunks entblödete sich nicht, zu erklären: “Die Einschaltquote stand bei einem 24-stündigen und so außergewöhnlichen TV-Projekt nie im Vordergrund“. Warum eigentlich nicht? Bei einem Projekt, mit dem der Sender laut ARTE-Programmdirektor Alain le Diberder „neue Horizonte eröffnet und wichtige aktuelle Themen auf originelle Weise beleuchtet.“ Man stelle sich vor, die Einschaltquoten nach entsprechendem Getrommel wären erheblich besser, vielleicht sogar wirklich sehr gut gewesen? Die Chance war da, aber warum interessiert das keinen, warum wird sie nicht genutzt. Müssen wir die Öffentlich-rechtlichen Sender zum Jagen tragen? Eine große öffentliche Debatte über die Qualität kann hier vielleicht helfen.

Apropos Einschaltquote

mit welchen Formaten die Öffentlich-Rechtlichen dagegen hoffen, Quote zu machen (bei den über 70-jährigen?), merkt man, wenn man sich die „Highlights“ aus den Dritten Programmen betrachtet. Wollen die Zuschauer wirklich so ein Programm? Oliver welke: “Leider halten die Programmmacher ihr Publikum für zu doof. Das gilt auch für die Öffentlich-Rechtlichen.” dwdl hat dieses „Vorurteil der Woche“ geprüft und fragt: „Hat Welke Recht? Hält uns das Fernsehen für doof? Und listet dann Beispiele für die Qualität des Öffentlich.Rechtlichen auf. Das sind zum Beispiel Sendungen wie “Die beliebtesten Stimmungslieder” (HR), “Die beliebtesten Reiseziele der Hessen” (HR), “Die beliebtesten Party-Hits” (NDR), “Die beliebtesten Komiker des Nordens” (NDR), “Die beliebtesten Talsperren” (HR), “Die beliebtesten Kirchen in NRW” (WDR), “Die beliebtesten Wintersportlegenden” (HR), “Die beliebtesten Kurorte in NRW” (WDR), “Die beliebtesten Traditionsunternehmen in NRW” (WDR), “Die beliebtesten Fernsehpaare” (NDR), “Die beliebtesten Wanderwege der Hessen” (HR), “Die beliebtesten Musikshows in NRW” (WDR), “Die beliebtesten Karnevalsshows der Nordrhein-Westfalen” (WDR), “Die beliebtesten Popsongs” (HR), “Die beliebtesten Mundarten” (SWR), “Die beliebtesten Stimmungslieder” (RBB), “Die beliebtesten Fastnachtslieder der Hessen” (HR), “Die beliebtesten Klöster in NRW” (WDR), “Die beliebtesten Flüsse in NRW” (WDR), “Die beliebtesten Dialekte der Hessen” (HR), “Die beliebtesten Luxus-Oldtimer” (HR), “Die beliebtesten Naturschutzgebiete in NRW” (WDR) und “Die beliebtesten Landschaften” (HR), sehr beliebt sind auch Sendungen, bei denen wir Rhein, Donau und andere Flüsse „von oben“ sehen können. Besonders der Hessische Rundfunk tut sich da hervor, dort wird fast nichts anderes mehr gesendet. Angesichts dieser Flut von seichten Programminhalten hat Fritz Wolf in seiner Kolumne bei „Message“ richtigerweise gefragt: erfüllen die Sender mit solchen Programme eigentlich noch den Programmauftrag?Aber offenbar werden die Vorstellung von Programm immer abstruser. So will das ZDF mit Dokumentationen in der Primetime “die großen Entwicklungslinien in unserer Gesellschaft” erklären (so ZDF Chefredakteur Frey) über das “dokumentarische” Format “ZDFzeit”) und beglückt die Zuschauer im Jahr 2013 mit “Ein Baby für William und Kate”, “Prinz Charles – Der ewige Prinz”, “Von Fürsten, Schlössern und Manieren”, “Traumfabrik Königshaus”, “Die heimliche Königin”, “Zu Gast im Palast”, “Die kleinen Königinnen kommen”, “Bye-bye Beatrix” und “Die Bilanz der Bourbonen”, alle zur Hauptsendezeit. – wie war das noch? „große Entwicklungslinien in unserer Gesellschaft“??(Übrigens: solche Inhalte zählen für die Öffentlich-Rechtlichen zum „Informationsproramm“.Nach einer bei weitem nicht vollständigen Aufzählung von Programminhalten stellt dwdl die Frage: „Können Sie noch? Oder einigen wir uns einfach schnell darauf: Das Vorurteil stimmt. http://www.dwdl.de/vorurteil/45610/hat_welke_recht_haelt_uns_das_fernsehen_fuer_doof/

Themenklau

Geklaut wird überall, siehe oben. Kein Format, dass nicht schnell von einem anderen Sender kopiert wird. Nach den Quotenerfolgen der ARD mit „Markencheck“ kam jetzt der „ZDF-Markencheck“ mit einem – wie originell – Duell “H&M gegen C&A“. Aber, davon abgesehen, Themenklau hat es immer schon gegeben. Ich habe das in dreißig Jahren vier- bis fünfmal erlebt.Aber er ist nur selten zweifelsfrei nachzuweisen. selten. Wer weiß, ob es stimmt, wenn die Redaktion auf einen Themenvorschlag antwortet: „Das Thema machen wir schon“, oder „das hat schon jemand anderes vorgeschlagen“. Aber ich habe auch schon Fälle erlebt,bei denen der Klau nachweislich war. Die Kollegin Petra Sorge von Cicero recherchiert zu diesem Thema: Für die Medienkolumne bei Cicero Online recherchiere ich über Themenklau bei öffentlich-rechtlichen Magazinen. Wie ich selbst am Beispiel eines freien Autors gesehen habe, kommt es offenbar immer wieder vor, dass Ideen abgegriffen werden, ohne die Urheber zu erwähnen oder gar zu vergüten. Teilweise werden sogar ganze Rechercheergebnisse und/oder Protagonisten übernommen. Sollte Ihnen oder einem Bekannten von Ihnen so etwas auch schon einmal passiert sein, würde ich mich über eine Kontaktaufnahme freuen: Wie stellte sich der Fall konkret dar? Haben Sie sich bei dem Sender beschwert und wenn ja, wie wurde Ihre Eingabe behandelt? Sollten Sie sich in Abhängigkeitsverhältnissen befinden, würden wir die Beispiele selbstverständlich anonymisieren. Kontakt Petra Sorge, sorge@cicero.de oder telefonisch 030 981 941-219

Und wie geht’s uns Filmschaffenden am 1.Mai?

Schlecht, sagt die Bundesvereinigung der Filmschaffenden-Verbände in ihrem “Status Bericht 2013” zur Situation der Film-Selbstständigen. Inzwischen arbeitet die Mehrheit in der Filmbranche selbständig. Das bringt zwar eventuell zunächst mehr Geld, denn viele arbeiten “ausschließlich auf Rechnung, weil es ihnen ‘lieber ist'”. Aber die Filmverbände warnen vor möglichen Fehlkalkulationen und Folgen: “Der finanzielle Vorteil, durch Rechnungsstellung einen höheren Betrag verhandeln zu können, ist trügerisch. Die Vertragspartner teilen praktisch die ‘eingesparten’ Sozialbeiträge unter sich auf. Der Beschäftigte tauscht etwas Geld gegen den Verlust sozialer Sicherheit.” – Anscheinend sind wohl 15 bis 20 Prozent aller Vertragsverhältnisse der Branche tatsächlich als ‘Zwangs-Selbstständigkeit’ zu werten sind, denn knapp ein Drittel der Befragten arbeitet nur deshalb auf Rechnung, weil dies der Auftraggeber fordert. – Kein Wunder also, dass gerade im Filmbereich, wo die Sozialgesetze und -kassen die Anstellung auf Produktionsdauer als Normalbeschäftigung ansehen, die Unsicherheit über den tatsächlichen Status besonders groß ist:
Die düstere Bilanz: der Filmschaffenden-Verbände: die Produktionsbedingungen führen dazu, dass
“weit über die Hälfte der Kollegen versuchen, zumindest teilweise aus dem Netz der gesetzlichen Sozialversicherung auszusteigen”. Als Konsequenz wird gefordert, dass “die Sozialgesetzgebung für die Einzelnen wieder eine Relevanz bekommt”, damit diese bereit sind, ihren Anteil am Sozialsystem zu tragen. – Das aber steht und fällt wohl mit einer weiteren zentralen Forderung: Die derzeit stetig sinkenden Gagen und die Minutenpreise für Auftragsproduktionen müssen signifikant steigen. (Quelle: http://www.mediafon.net/meldung_volltext.php3?id=534e5336dfb8f&akt=news_allgemein)

So, das war’s für heute, ich wünsche allen einen schönen 1. Mai, kämpferisch oder erholsam, am besten beides.

Michael Schomers

 

 

 


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