[Der :Freischreiber-Newsletter]

vom 11.04.2017

Liebe Freischreiberinnen und Freischreiber,
liebe Kolleginnen und Kollegen und alle Freunde des freischreibergrünen Verbandes,

es ist mal wieder so weit: Am 29. April verleiht Freischreiber (dieses Jahr im Haus am Dom in Frankfurt) den Himmel- und Höllepreis.

Wen haben wir nominiert? Gehen wir erst mal in den Himmel, für den wir die Verlegerin Sandra Uschtrin und den Mäzen Konrad Schwingenstein nominieren. Und das wird wie folgt begründet: Sandra Uschtrin hat sich als Inhaberin des Uschtrin Verlages nicht am allgemeinen Klagen der Verlage beteiligt, als diese in Folge des Vogel-Urteils die ihnen widerrechtlich ausgezahlten VG Wort-Ausschüttungen zurückzahlen mussten, damit diese an die Autoren gehen. Im Gegenteil! So postete sie auf Facebook Folgendes: „Gleich überweise ich die 8.185,16 Euro, die die VG WORT fälschlicherweise in den Jahren 2012 bis 2015 an meinen Verlag gezahlt hat. Ich habe damit kein Problem. Denn dieses Geld steht den Autorinnen und Autoren zu, ohne Wenn und Aber.“ Und weiter: „Ich kann AutorInnen nur raten, keineVerzichts-/Abtretungserklärung zu unterschreiben.“

Für Konrad Schwingenstein heißt es in der Nominierungsbegründung: „Wenn in unserer Branche Mäzene auftreten, vergeben sie oft Stipendien oder fördern Bildungsveranstaltungen. Das ist verdienstvoll, aber es gibt nur wenige wie Konrad Schwingenstein, die sich den Fragen des Medienwandels stellen und ihn damit auch mitgestalten.“ Und weiter: „Angefangen hat Konrad Schwingenstein, Enkel eines der Gründer der Süddeutschen Zeitung, mit der Plattform „Torial“, auf der sich freie Medienleute sehr elegant ein aussagekräftiges Profil erstellen können. Dann kam Piqd, eine Plattform für handverlesenen Journalismus, die „Clickbaiting“ journalistische Substanz entgegenstellt und zudem ihre Piquer angemessener bezahlt als viele Verlagshäuser. Außerdem kümmert sich die Schwingenstein Stiftung mit der Torial Academy um zeitgemäße Fortbildung für Journalistinnen und Journalisten und einen Debattenraum für die Zukunft des Journalismus.“

Die ausführlichen Nominierungen für den Himmelpreis können in aller Schönheit hier nachgelesen werden.

Und nun ab – in die Hölle.
In der drängelt es sich nämlich! Und zwar gewaltig!

Da wäre zunächst als heißer Anwärter der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V.: „Der BDZV hat sich mit seiner Kündigung der Gemeinsamen Vergütungsregeln für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen (GVR) einen Platz in der publizistischen Hölle verdient.“

Dabei ist auch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) und zwar für ihre höllisch-unterirdischen Honorare: „’Es ist allseits bekannt, dass die dpa Hungerlöhne zahlt’, sagt ein freier Journalist über die Deutsche Presse-Agentur. Der Kollege weiß das aus eigener Erfahrung, regelmäßig arbeitet er in Redaktionsschichten für die Nachrichtenagentur. 120 Euro für acht Stunden – das ist der übliche Satz für Freie, egal ob in einem der dpa-Landesdienste oder zum Beispiel bei den Kindernachrichten. Aufträge für einzelne Artikel sind noch schlechter honoriert.“

Und das ist noch nicht alles…

Um die Hölle bemüht sich auch die altehrwürdige Süddeutsche Zeitung, die selbst oft vornan ist, wenn es etwa gilt, die Steueroasen der Reichen und Schönen aufzudecken – wir gratulieren herzlich zum Pulitzer Preis! – aber, liebe Sportsfreunde: „Wenn es darum geht, die Arbeitsbedingungen mit zum Teil langjährigen freien Journalistinnen und Journalisten zu gestalten, schreckt die Süddeutsche Zeitung seit Neuestem nicht vor kalter Enteignung zurück. Anfang des Jahres wunderten sich freie Kolleginnen und Kollegen, die Texte wie gewohnt nach dem Abdruck bei der Süddeutschen auch beim Schweizer Tagesanzeiger anbieten wollten, dass die Redakteure ihnen beschieden, den Text würden sie kostenlos zum Abdruck von der Süddeutschen Zeitung erhalten. Tatsächlich: Die Süddeutsche Zeitung und der Schweizer Verlag Tamedia haben einen Artikelaustausch vereinbart. Die Beteiligung der Autoren an diesem Deal? NULL.“

Und auch damit nicht genug …

Auch die Travel House Media GmbH hätte einen Platz in der Hölle wohl verdient: „Mit seinen Bettelbriefen reiht sich die Travel House Media GmbH in die Riege jener Verlage ein, die Journalistinnen und Journalisten besonders kaltschnäuzig darum ersuchen, ihnen Tantiemen aus Kopiervergütungen und Geräteabgaben freiwillig abzutreten – sowohl rückwirkend als auch zukünftig.“

Und schließlich ist Der Freitag ein Kandidatfür die Hölle. Und zwar wegen seines Umganges mit der freien Journalistin Petra Reski. Diese war von einem ihrer Protagonisten einer Reportage über die Mafia verklagt worden, hatte diese Klage verloren, war auf den Prozesskosten sitzen geblieben und hatte keine Unterstützung durch ihren Auftraggeber erhalten. Der flapsige Kommentar des Freitag-Verlegers Jakob Augstein: „Redaktionen sind keine Rechtsschutzversicherung für mangelhafte Recherchen.” Wir dagegen stellen fest: „Was sich Autoren wünschen, ist dies: eine Redaktion und einen Verleger, die sich nicht verdünnisieren, wenn mal was schiefgeht.“

Auch hier kann man die ausführlichen Nominierungstexte auf unserer Homepage nachlesen

Hinweise möchten wir noch auf das große Presseecho, das der „Fall Reski“ in den letzten Tagen ausgelöst hat: „Dass eine Zeitung, die mit der Entscheidung, den Artikel zu drucken, hinter dem Autor steht, sich im Falle einer juristischen Auseinandersetzung vor diesen stellt, sich mit ihm berät und dagegen wehrt, ist übliche Praxis.“ hält die FAZ fest. Die taz kommentiert: „Auch im zehnten Jahr nach dem Massaker der italienischen Mafiaorganisation ’Ndrangheta 2007 in Duisburg muss, wer das Thema in die hiesige Öffentlichkeit bringen will, eine ganze Menge mitmachen: nicht nur Ignoranz, Bedrohungen und Anwaltskosten, sondern vor allem das Gefühl der Isolation.“ Und Meedia meint zum Verhalten von Jakob Augstein folgendes: „Seine öffentliche Distanzierung von einer Autorin ist für den Verleger eines Blattes ein ungewöhnliches Verhalten – als würde sich der Vorstandschef des Verlagshauses Axel Springer von seinem in der Türkei inhaftierten Korrespondenten lossprechen und diesem vorwerfen, er hätte beim Verfassen seiner Artikel halt mehr Sorgfalt walten lassen müssen. Presserechtliche Verantwortung ist nicht teilbar, aber genau dies versucht Augstein.“

Wer nun tatsächlich 2017 in den Himmel und wer in die Hölle kommt, das entscheidet sich am 29.4., abends in Frankfurt am Main. Mit Preisverleihung! Und einer anschließenden Party! Wir freuen uns schon! Infos hier.

Freischreiberiges
Ende 2014 machte „Nüchtern“ von Daniel Schreiber Furore. In diesem Jahr könnte ein ebenso ehrliches Protokoll einer Alkoholsucht Ähnliches bewirken: die Suche eines Sohnes nach den Gründen, warum sich sein Vater am Ende zu Tode getrunken hat. Das Buch „Dunkelblau“ von Freischreiber Dominik Schottner beruht dabei auf seiner Radioreportage „Danke. Ciao!“

„Warum versteht mich keiner? Was mache ich, wenn ich verliebt bin? Werde ich einen passenden Beruf finden? Fragen, vor denen viele Jugendliche stehen. Doch für Jugendliche mit einer AutismusSpektrumStörung haben sie oft eine besondere Brisanz“, schreibt Freischreiberin Vanessa Köneke und hat daher zusammen mit ihrer Kollegin Karla Schneider mit „Warum manchmal ein Brett vorm Kopf klebt …“ einen besonderen Ratgeber auch für Jugendliche mit Autismus, aber auch deren Eltern und Familien verfasst.

Print? Online? Multimediagedöns? Freischreiber Jakob Vicari bevorzugt derweilen ein ganz anderes, haushaltliches Medium: die medial ausgerüstete Kaffeetasse: „Sie liefert Informationen in bekömmlichen Portionen – eine Nachricht pro Schluck wird vorgelesen. Wie das funktioniert? Hier wird es erklärt.

Dies und Das
„Verlage sind nervig“, schreibt Autor und Verleger Jörg Sundermeier in der taz. „Manche Verlage sind auch betrügerisch“, setzt er bald hinzu. Und: „Manche Zeitungsverlage wollen die Rechte an den Texten gleich ganz von den Urhebern übertragen wissen, Texte, für die sie wenig Zeilengeld zahlen, und das nur einmalig.“ Doch nun pauschal die Verlage in Bausch und Bogen zu verdammen und zu bekriegen, davon hält er auch nichts. Und schlägt ein neues Modell, ein neues Konzept vor: Bibliodiverstät, das derzeit besonders in Lateinamerika die publizistische Debatte belebt.

Was es mit dieser „Bibliodiversität“ auf sich hat, erzählt einer ihrer führenden Protagonisten – nämlich die australische Publizistin Susan Hawthorne in einer Art Grundsatzpapier: „So wie die Biodiversität ein Indiz für die Gesundheit des Ökosystems ist, kann der Zustand eines ökosozialen Systems an seiner Vielfältigkeit gemessen werden und der Zustand der Verlagswelt an ihrer Bibliodiversität.“ Und damit sich der Kreis an dieser Stelle vorerst schließt, ein kleiner Buchhinweis für alle an der Bibliodversität Interessierten: „Bibliodiversität. Manifest für unabhängiges Publizieren“. Von Susan Hawthorne. Erschienen in Jörg Sundermeiers schönem Verbrecher Verlag.

Dass der Leser kein Archiv hat, ist ein beliebter Spruch unter Journalisten, wenn man diesem mal wieder eine schon hundertmal erzählte Geschichte unterjubeln will (über Kreuzfahrten, Hundesalons, Manager, die jetzt ganz glücklich Ziegenkäse mit der Hand herstellen, sowas). Oskar Pieksa hat sich mal umgeschaut, was es für epigonal gute Geschichten gibt, die man sich hin und wieder mal anschauen sollte. Und er stellt fest: „Bestimmte Stoffe sind so auserzählt, dass man schon radikal neue Ansätze finden müsste, um dem bestehenden Korpus an Texten noch etwas hinzufügen zu können.“

Interessantes gibt es auch aus dem mit Freischreiber befreundeten Verband der freien Fotografen und Fotografinnen FREELENS zu vermelden. Denn dieser hat die Faxen dicke – und klagt gegen Google: „Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es maximal zulässig, im Internet auffindbare Fotos durch Suchmaschinen in Thumbnailgröße zu zeigen, wenn bei Anklicken eines Fotos auf die Website weitergeleitet wird, auf der das Originalfoto veröffentlicht ist. Diese Vorgaben werden durch Google nicht eingehalten. Vielmehr werden die Aufnahmen bei Anklicken in großer Auflösung gezeigt, ohne direkt auf die Ursprungswebsite weiterzuleiten. Außerdem bietet Google dem Nutzer die Möglichkeit, sich mit Hilfe von Pfeilen, ähnlich einer Slideshow, durch alle gefundenen Bilder zu klicken.
Die Aufnahmen des Fotografen werden nicht mehr vorrangig zum Auffinden der Quelle und des Urhebers, sondern ohne seine Genehmigung zur Veröffentlichung und Präsentation im Internet genutzt.“

Preise, Stipendien und Co
„Die Deutsche Telekom Stiftung sucht ab sofort wieder Journalistinnen und Journalisten, denen es in den zurückliegenden zwölf Monaten besonders gut gelungen ist, komplexe Bildungsthemen in ihren Medien verständlich und interessant aufzubereiten“, schreibt die Deutsche Telekom Stiftung. Und macht dafür 27.000 Euro locker. Eingereicht werden können Beiträge bis zum 15. Juni. Und wichtig: Bewerben (oder vorgeschlagen werden) können nur hauptberuflich tätige Journalisten und Journalistinnen.

„In Interviews mit politischen Akteuren ist es oft schwierig, den Dingen auf den Grund zu kommen. Das Gegenüber weicht aus oder will die eigene Botschaft platzieren. Vor allem Berufseinsteigende oder junge Journalist_innen benötigen darum die Sicherheit und das Handwerkszeug, Interviews hart an der Sache orientiert, aber fair im Ton zu führen.“, so wirbt die JournalistenAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung für ihr Seminarangebot „Wer fragt, der führt“ am 4./5. Mai in Berlin. Hier erfährt man weitere Einzelheiten und kann sich anmelden.

So. Das war es schon wieder. Viel Stoff zum Nachlesen und Nachdenken und Nachspüren – hoffentlich. Weshalb die Entspannung nicht zu kurz kommen sollte! Also die Beine hochlegen, den Bürostuhl in die bestmögliche Lage drehen oder kippen – und vielleicht einen Film schauen? Aber welchen!? Da hilft die Plattform journalistenfilme.de, die uns keinesfalls alleine lässt. Und die aktuell zusammengestellt hat, wer welchen Journalistenfilm für den besten oder auch den allerbesten hält. Aber schauen Sie selbst…

In diesem Sinne
Ihre
:Freischreiber