[Der :Freischreiber-Newsletter]

vom 03.05.2017

Liebe Freischreiberinnen und Freischreiber,
liebe Kolleginnen und Kollegen und alle Freunde des freischreibergrünen Verbandes,

bevor wir von großartigen Gästen, Himmel- und Hölle-Preisen, neuen Vorständen und ermatteten Barkeepern berichten, kommt zuerst das Allerwichtigste:

Heute ist der Tag der Pressefreiheit! Und bis zum heutigen Tag sitzen weltweit unsere Kollegen in Gefängnissen, weil sie ihrer und unserer Arbeit nachgegangen sind!

Laut Reporter ohne Grenzen sind derzeit 366 Journalisten, Online-Aktivisten und Medienmitarbeiter in Haft, darunter der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel, der in der Türkei eingesperrt ist, bislang ohne Anklage. 11 Kollegen haben in den ersten Monaten dieses Jahres sogar ihr Leben verloren. Das sind 377 Anschläge auf die Pressefreiheit, 377-mal unerträgliche Zustände, gegen die wir aufstehen müssen. Die Künstlerin Yoko Ono hat eine Titelseite gestaltet, die Sie heute (hoffentlich!) auf vielen Tageszeitungen sehen können. In Berlin finden folgende Aktionen statt:
 
Auf die Presse!“ heißt das Konzert am Brandenburger Tor, das um 17.30 Uhr beginnt, mit Jasmin Tabatabai, Jilet Ayse, Die Sterne, Peter Licht und vielen anderen. Die Journalisten Oliver Welke und Michel Friedman sind mit Wortbeiträgen dabei.
 
Um die Mittagszeit protestieren Reporter ohne Grenzen und Amnesty International vor der Türkischen Botschaft gegen die Inhaftierung von Journalisten in der Türkei, dem Land, das weltweit die meisten von uns hinter Gitter bringt. 12.30–13 Uhr, Tiergartenstr. 19–21, 10785 Berlin
 
Wer nicht in Berlin ist, kann trotzdem Zeichen setzen, und zwar in den sozialen Medien. Wie das geht, erklärt Amnesty International in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung.
 
Was bei Freischreiber geschah:
Der 29. April war ein verdammt langer Tag, zumindest bei uns in Frankfurt am Main. Es war der Tag der Himmel- und Hölle-Preisverleihung, der Freischreiber-Mitgliederversammlung, zweier Workshops und einer Feier mit großartigen Gästen, Rednern, Preisträgern und Kandidaten.
 
Das Warming-up kam in Form zweier Workshops. Eine „Wie machst du das?“-Runde, bei der Kollegen sich gegenseitig Tipps geben, charmant durch den Vormittag geführt von Ann-Christin Baßin und Alexandra Brosowski. Und einer zu Mobile Reporting, geleitet vom NDR-Reporter Daniel Sprehe.
 
In der anschließenden Mitgliederversammlung gingen zwei Vorstände von Bord. Benno Stieber, Vorsitzender und Freischreiber-Gründungsmitglied, wollte nach neun Jahren rastloser Tätigkeit für den Verband nur noch einfach Mitglied sein und stellte sich nicht mehr zur Wahl. Henry Steinhau, Experte für Urheberrecht und Medienjournalismus, will ebenfalls zu neuen Ufern aufbrechen. Beide haben jedoch versprochen, in Rufweite zu bleiben. Wir danken Benno und Henry für ihre großartige Arbeit und ihre engagierten Freischreiber-Herzen! Neue Vorstandsvorsitzende ist ab sofort Carola Dorner, bis vor Kurzem Vizechefin von Freischreiber. Neu in den Vorstand gewählt wurden der Freischreiber-Regionalleiter aus dem Südwesten, Steve Przybilla, der Hamburger Regionalleiter Peter Neitzsch, der seit Januar 2017 bereits kooptiert ist, sowie Sensorjournalist, Taliban-auf-dem-Fahrrad-Jäger und Urzeitkrebs Jakob Vicari, ehemaliges und jetzt wiedergekehrtes Vorstandsmitglied. Willkommen an Bord, ihr drei, wir sind froh!

Bei unserer Mitgliederversammlung hatten wir außerdem Besuch von Kollege Daniel Bouhs, der für den Deutschlandfunk (#mediasres) bei uns nachgehakt hat, was wir in den letzten neun Jahren als Verband eigentlich erreicht haben, wo wir noch feststecken und wo wir in Zukunft hinwollen: Journalistenverband „Freischreiber“: Lobbyist der Einzelkämpfer.

An den Rest des Abends werden wir noch lange denken. Constantin Seibt, Journalist und Autor von „Deadline“, ehemaliger Redaktor des Schweizer Tages-Anzeigers sowie die treibende Kraft hinter Republik, einer digitalen Zeitung in Gründung, stellte sich ans Rednerpult und berichtete, warum er eine gut bezahlte Festanstellung hat sausen lassen, um ins Freie zu treten. Nebenbei ließ er uns ein paar Sätze da für die Ewigkeit, zum Beispiel:

„Welches Budget streicht man als Erstes? Das von den Leuten, denen man nicht in die Augen schauen muss.“

Das würden wir gern unseren Hölle-Preiskandidaten aufs T-Shirt drucken. Allesamt.
 
Gewonnen hat den teuflischen Preis die Süddeutsche Zeitung, weil sie ihre freien Autoren um deren Zweitverwertungshonorare beim Schweizer Tages-Anzeiger prellt. Das nennen wir kalte Enteignung. Der Gewinner hat es vorgezogen, der Veranstaltung fernzubleiben, muss aber dennoch nicht auf seinen Preis verzichten. „Don’t call us. We call you“, sagte dazu der ehemalige Freischreiber-Vorstandsvorsitzende Benno Stieber, der eine flammende Rede gegen die Enteignungspraxis des Verlags hielt. Was heißt: Wir kommen in München vorbei und überreichen unsere Auszeichnung selbst. Denn wie immer gilt: Wir verstehen sie nicht zuletzt als Förderpreis, der dazu anregen soll, über die Arbeitsbedingungen freier Journalisten ins Gespräch zu kommen. Das gilt übrigens genauso für alle anderen Nominierten, die man hier nochmal nachlesen kann. Als da wären: der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Der Freitag, die Deutsche Presse-Agentur (dpa) und
Travel House Media GmbH.
 
Um Himmel und Hölle schlingen sich manchmal familiäre Bande, so auch bei uns. Der Himmel-Preisträger des Jahres 2017 ist der Mäzen und Medien-Pionier Konrad Schwingenstein. Er steckt als Verlagserbe der Süddeutschen Zeitung nicht nur sein Geld in die Zukunft des Journalismus, was heißt: in digitale Projekte. Sondern gibt uns freien Journalisten auch den Glauben an die Sache zurück, den wir bei unseren klassischen Auftraggebern viel zu oft vermissen. „Wir haben eines gemeinsam“, sagte Konrad Schwingenstein in seiner Rede zu den Freischreibern. „Wir akzeptieren die Spielregeln der neuen Zeit.“ Und dann beschrieb er, wie die journalistische Zukunft aussehen kann: offen, durchlässig, flexibel und ohne die alten Hierarchien. So wie bei seinen Projekten Torial, piqd und log.os social.
 
Was noch geschah: Im Lauf des Abends diskutierte Petra Reski mit Moderatorin Caroline Schmidt-Gross über das Risiko, das freie Autoren eingehen, wenn sie brisante Themen recherchieren. Reski hatte eine Klage gegen ihren Text über Mafia-Aktivitäten in Deutschland verloren. Dieser Text war in der Wochenzeitung Freitag erschienen. Verleger Jakob Augstein hatte sich nicht vor seine Autorin gestellt, was ihm eine Hölle-Preis-Nominierung von Freischreiber eingetragen hatte. Wir fragten Reski: Wie können sich freie Autoren schützen, wenn sie heiße Eisen anfassen? Wie stellen sie sicher, dass die Redaktionen ihren Teil der Verantwortung tragen? Zu unserem Bedauern konnte Jakob Augstein nicht in Frankfurt dabei sein, er las am selben Abend in Coburg.
 
Anschließend erläuterte Sandra Uschtrin, die einzige Himmel-Preiskandidatin neben Konrad Schwingenstein, warum sie sich auf die Seite der Autoren gestellt hatte, als es um die VG-Wort-Ausschüttungen ging, die den Verlegern zu Unrecht ausbezahlt wurden. Nach ihrem Beitrag müssen wir wieder an das Gute im Verleger glauben, auch wenn es schwerfällt. Danke, Sandra Uschtrin, für Ihre Fairness.
 
Als um Mitternacht Schluss war im Tagungshaus, hat Freischreiber im Dreikönigskeller weitergetanzt, bis der Wirt kam und sagte: „Der Barkeeper kann nicht mehr, bitte geht nach Hause.“ Was Freischreiber dann auch tat.
 
 
Scheinselbstständigkeit:
 
Unsere alte Bekannte, die Scheinselbstständigkeit, hebt wieder ihr graues Haupt. Wo man Journalisten nicht mehr kostengünstig frei beschäftigen kann, weil man sie jetzt anstellen muss, wer soll da die Mehrkosten des Auftraggebers schultern? Wir ahnen es: der Freie, na klar. So kündigt das Filmfest München in einer Rundmail an seine „Programm-Präsentatoren“ an (das sind die freien Journalisten, die während des Filmfests interviewen und moderieren), dass ihr Honorar von 60 Euro (!) netto pro Moderation nun leider auf 50 Euro gekürzt werden müsse. Es entstünden ja Zusatzkosten durch die Abführung der Lohnsteuer. Ein betroffener Kollege hat bei der kaufmännischen Leitung nachgefragt und folgende Antwort erhalten:
 
„Da wir nun die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung und darüberhinaus weitere gesetzliche Abgaben tragen, muss selbstverständlich dieser Anteil, der in einem Honorar enthalten ist, gemindert werden.“
 
Als wäre es ein Naturgesetz. Doch das ist ein Irrtum, liebes Filmfest und liebe andere Auftraggeber, die ihr freie Journalisten beschäftigt. Selbstverständlich muss nicht das Honorar der Freien gekürzt werden. Es darf nicht mehr so billig gewirtschaftet werden. Und Freie dürfen so etwas nicht länger mit sich machen lassen.
 
Dazu passt auch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. März 2017: Danach ist die Höhe des Honorars ein wichtiges Kriterium bei der Beurteilung, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt oder nicht. Das Honorar eines freiberuflich Tätigen muss demnach so hoch sein, dass es Eigenvorsorge zulässt. Das ist vielversprechend. Wir kommen darauf zurück.

Eine andere alte Bekannte, die VG Wort, muss sich mit zwei neuen Klagen auseinandersetzen. Zum einen gegen das Verzichtsmodell, das Autoren die Möglichkeit einräumte, zugunsten ihrer Verlage auf den Ausschüttungsanteil zu verzichten, der ihnen von Rechts wegen zustand. Doch dieses Geld, auf das verzichtet wurde, ist ja nicht weg. Es muss, so der Kläger, wieder in den großen Topf zurück, aus dem dann die Urheber ihren Anteil erhalten. Die zweite Klage befasst sich mit den Rückstellungen, die die VG Wort gebildet hat, falls Verlage nicht imstande sein sollten, ihre zu Unrecht erhaltenen Ausschüttungen zurückzuzahlen. Auch dieses Geld steht laut der Klage den Urhebern zu, Näheres unter vginfo.org.
 
Augen auf, Lesetipps!
 
Julia Jäkel, Gruner+Jahr-Verlagschefin, fragt sich in einem Thesenpapier, das sie für den European Newsletter Congress (21.–23. Mai 2017 in Wien) vorbereitet hat, ob Content Marketing eventuell vom Teufel stammt. Vielleicht findet sie hier eine Antwort. Ein lesenswertes Stück über die Wirkungen von Content Marketing, vor allem auf den Journalismus.

Was fürs journalistische Herz: Print ist der am meisten unterschätzte Medienkanal! Ein wunderbares Interview mit dem russischen Publizisten Vasily Gatow.

Unsere Himmel-Preiskandidatin Sandra Uschtrin ist Buch- und Zeitschriftenverlegerin. Aber sie gibt auch einen tollen Newsletter heraus: für News aus dem Literaturbetrieb und für Preise & Stipendien. Empfehlung für Kolleginnen und Kollegen, die gern mal ins fiktive Fach hinüberschnuppern.

Und von Freischreiber-Mitglied Martin Henze ist ein Liebhaber-Buch für alle Oldtimer-Fans erschienen, die „Oldtimer-Fahrschule“. Mit vielen Fotos und jeder Menge Tipps zu heißgeliebten alten Karossen. Mehr unter www.oldtimer-fahrschule.de
 
Seminare:

Kurzfristig!
Zwei Workshops aus der Journalisten-Akademie der Bonner Friedrich-Ebert-Stiftung:
Basic Instinct: ein kompakter Recherche-Grundkurs, 15.–16. Mai, in Bonn. Der Schwerpunkt liegt auf aktuellen praktischen Beispielen und einem Blick hinter die Kulissen erfolgreicher Recherchen. Infos hier.
 
Berichten, beschreiben, bewerten: Grundkurs zu den journalistischen Darstellungsformen, 17.–19. Mai, in Würzburg. Ziel ist es, die verschiedenen Textsorten genau dafür einzusetzen, wofür sie sich am besten eignen. Infos hier.
 
 Huch!
„Je älter man wird, desto mehr ähnelt die Geburtstagstorte einem Fackelzug“, sagte einst die großartige Katherine Hepburn. Merken Sie sich schon mal unseren eigenen Fackelzug vor. Im nächsten Jahr wird Freischreiber runde zehn Jahre alt. Und wird natürlich ein rauschendes Fest feiern, das jeden Barmann in die Knie zwingt.
 
In diesem Sinne,
 
Ihre :Freischreiber
 

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Die beiden Laudationes auf Himmel-Preisträger Konrad Schwingenstein (von Katharina Jakob) und Hölle-Preisträger Süddeutsche Zeitung (von Benno Stieber) hier nachlesen.


Das ist unser neuer Vorstand: Steve Przybilla (Freiburg), Katharina Jakob (Hamburg), Gabriele Meister (Mainz), Jakob Vicari (Lüneburg), die neue Vorsitzende Carola Dorner (Berlin), Andreas Unger (München) und Frank Keil (Hamburg). Nicht im Bild: Peter Neitzsch (Hamburg).


Heute, 19 Uhr: Freischreiber-Treffen in Freiburg. Mit dem frisch gewählten neuen Vorstandskollegen Steve Przybilla. Infos und Anmeldung hier.

Zur Hölle mit diesen Umgangsformen: die #mediasres-Kolumne von Silke Burmester über unsere Hölle-Kandidaten dpa und SZ vom 27.4.. Und hier für Interessierte nochmal die ausführliche Würdigung unseres Hölle-Preisträgers SZ von Kollege Max Muth vom 27.4.: Süddeutsche Zeitung: „Hölle-Preis“ für das Flagschiff des Qualitätsjournalismus? Das Fragezeichen können Sie dann jetzt weglassen.  

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